Am Beginn des Berichtes betont Landesbischof Meister ausdrücklich, dass das Thema "Sexualisierte Gewalt" in Absprache u.a. mit Nancy Janz, der Sprecherin der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD, die am Freitag zum Themenschwerpunkt zu Gast in der Synode sein wird, nicht im Mittelpunkt seines Bischofsberichtes steht. Es ist ein Ausweis des Respekts und der Achtung, dass er sich nicht vorab den Raum nimmt, um seine Gedanken im Bischofsbericht dazu zu äußern. Landesbischof Meister wird am Freitag während des Themenschwerpunktes einen Impuls zu diesem nötigen Kulturwandel geben.
Kirchenleitende Gremien stellen sich hinter Landesbischof Ralf Meister
Landesbischof Ralf Meister ist mit einer erneuten Rücktrittsforderung Missbrauchsbetroffener konfrontiert. Er müsse aus einem unzureichenden Umgang der Landeskirche mit Missbrauchsfällen Konsequenzen ziehen, heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten offenen Brief: „Die einzige verantwortungsvolle Option ist der Rücktritt von Landesbischof Meister.“ Bereits im März hatte eine Missbrauchsbetroffene den Rücktritt des 62-Jährigen gefordert. Der Theologe steht seit 2011 an der Spitze der größten der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Die kirchenleitenden Gremien stellten sich hinter den Bischof.
Sie seien überzeugt, „dass Ralf Meister seiner Verantwortung als Landesbischof gerecht wird, auch, indem er Fehler im Umgang mit Betroffenen eingeräumt und konkrete Verbesserungen eingeleitet hat“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Sie ist verfasst vom Präsidenten der Landessynode, Matthias Kannengießer, vom Vorsitzenden des Landessynodalausschusses, Jörn Surborg, vom Kollegium des Landeskirchenamtes und vom Bischofsrat. Sie stünden dafür ein, dass es einen grundlegenden Kulturwandel und strukturelle Veränderungen in der Kirche geben werde, versicherten diese.
Die Betroffenen machen Meister insbesondere für Versäumnisse in der landeskirchlichen Fachstelle für sexualisierte Gewalt verantwortlich. Auch nach einer Neuaufstellung 2021 würden Betroffene „weiterhin sehr negative Erfahrungen“ mit der Fachstelle machen, heißt es in dem Brief vom Mittwoch. Mails würden nicht oder nur schleppend bearbeitet, Anliegen nicht bearbeitet, Daten teilweise ohne Zustimmung weitergegeben und „Betroffenen wird immer noch nicht geglaubt, wenn die Täter noch im Dienst sind“. Die Betroffenen werfen dem Bischof zudem vor, er habe sich nie persönlich bei ihnen entschuldigt.
In ihrer gemeinsamen Erklärung übernahmen die kirchenleitenden Gremien die Verantwortung für Mängel in der Fachstelle. Sie hätten die Unterbesetzung der Fachstelle bis 2021 nicht früh genug erkannt. „Dieses bedauern wir sehr.“ Mittlerweile sei die Fachstelle aber auf Initiative des Landesbischofs personell aufgestockt worden. Meister habe zudem Fehler im Umgang mit den Betroffenen eingeräumt und mittlerweile eine Reihe von Gesprächen mit Betroffenen geführt.
Der Brief wurde unmittelbar vor viertägigen Beratungen der hannoverschen Landessynode veröffentlicht, die am Mittwochnachmittag im Kloster Loccum bei Nienburg beginnen sollen. Er wurde für die „Initiative “Sexualisierte Gewalt in der Landeskirche Hannovers: Meisterhafte Vertuschung beenden!" von den Betroffenenvertretern Dörte Münch, Horst E., Kerstin Krebs und Katharina Kracht unterzeichnet. Sie nehmen Bezug auf eine Rücktrittsforderung der unter Pseudonym auftretenden Missbrauchsbetroffenen Lisa Meyer aus dem März. Meyer hatte maßgeblich die Aufklärung von Missbrauchsfällen in der evangelischen Kirchengemeinde Oesede bei Osnabrück vorangetrieben. Sie war in den Jahren 1973 und 1974 als Elfjährige von einem angehenden Diakon dieser Kirchengemeinde mehrfach schwer missbraucht worden.
In dem Brief vom Mittwoch heißt es: „Als Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend unterstützen wir die Forderung von Lisa Meyer.“ Landesbischof Meister habe die Bedeutung des Themas sexualisierte Gewalt nicht erkannt. So ein Versagen gefährde Betroffene, die in der Vergangenheit sexualisierte Gewalt in der Kirche erlebt haben. Es gefährde auch Kinder und Jugendliche, die heute kirchliche Angebote wahrnehmen, „weil Strukturen von Gewalt nicht erkannt und nicht aufgeklärt werden“.
Erst am Dienstag war ein Brief bekannt geworden, in dem mehr als 200 evangelische Pastorinnen, Diakone und kirchliche Mitarbeitende die Leitung der hannoverschen Landeskirche für deren Umgang mit Missbrauchsfällen kritisieren. Sie seien entsetzt über das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der Kirche und den Umgang damit bis in die jüngste Vergangenheit, schreiben sie. „Das Verhalten kirchenleitender Verantwortlicher hat unser Vertrauen in die Kirchenleitung beschädigt“, heißt es in dem Schreiben. Landesbischof Meister hatte darauf mit Verständnis reagiert.
epd Niedersachsen/Bremen
Im Wortlaut: Gemeinsame Erklärung des Präsidenten der Landessynode, des Vorsitzenden des Landesynodalausschusses, des Kollegiums des Landeskirchenamtes und des Bischofrates
„Wir haben heute Kenntnis erhalten von einem offenen Brief von Betroffenen sexualisierter Gewalt. Sie fordern darin den Rücktritt von Landesbischof Ralf Meister und äußern deutliche Kritik an der Arbeit der Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Landeskirche und an der Aufarbeitungs- und Präventionsarbeit in der Landeskirche Hannovers insgesamt.
Bei der Pressekonferenz zum Bericht der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Fall Oesede am 15. März 2024 hat Landesbischof Meister betont, dass er sich mehr denn je in der Verantwortung dafür sieht, dass die Empfehlungen der Kommission und die daraus folgenden Konsequenzen zügig umgesetzt werden.
In der Folge hat die Landeskirche Hannovers entscheidende Veränderungen eingeleitet, um der berechtigten Kritik von Betroffenen sexualisierter Gewalt und der Aufarbeitungskommission nachzukommen. Um die Fachstelle Sexualisierte Gewalt zu stärken, haben wir eine Neuordnung der Zuständigkeiten innerhalb des Landeskirchenamts vorgenommen. In diesem Zusammenhang wurden und werden die personellen Ressourcen in der Fachstelle deutlich ausgeweitet. Die Verfahrensabläufe in der Fachstelle werden wir zusammen mit Betroffenen fortlaufend überprüfen. Landesbischof Meister hat mittlerweile eine Reihe von Gesprächen mit Betroffenen geführt und wird diese auch fortsetzen. Das Gesprächsangebot richtet sich ausdrücklich auch an die Unterzeichnenden des offenen Briefes.
Als kirchenleitende Gremien sind wir überzeugt, dass Ralf Meister seiner Verantwortung als Landesbischof gerecht wird, auch, indem er Fehler im Umgang mit Betroffenen eingeräumt und konkrete Verbesserungen eingeleitet hat.
Ebenso sind wir der Überzeugung, dass die Mitarbeitenden der Fachstelle Sexualisierte Gewalt ihre Aufgaben professionell, mit großem Engagement und im Sinne der Betroffenenorientierung erfüllen. Es ist unser Fehler, dass wir die Unterbesetzung der Fachstelle und ihre Folgen insbesondere in den Jahren bis 2021 nicht früh genug erkannt und entsprechend reagiert haben. Dieses bedauern wir sehr. Deshalb haben wir hier, auch auf Initiative von Landesbischof Meister, deutlich nachgebessert.
Gemeinsam mit dem Landesbischof stehen wir als Kirchenleitung dafür ein, dass es in unserer Landeskirche einen grundlegenden Kulturwandel und strukturelle Veränderungen geben wird. Unser aller Anliegen ist es, dass Kirche künftig ein sicherer Raum ist.“
Mehr als 200 evangelische Pastorinnen, Diakone und kirchliche Mitarbeitende haben die Leitung der hannoverschen Landeskirche für deren Umgang mit Missbrauchsfällen in einem Brief kritisiert. Die Unterzeichnenden beziehen sich auf die im Januar und Februar erschienenen Studien zu Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und zu einem Fall in Oesede bei Osnabrück. Sie wünschen sich einen grundlegenden Kulturwandel innerhalb der Kirche. Die Kirche müsse sensibel für Grenzverletzungen und Machtmissbrauch werden.
Landesbischof Meister sagt zu diesem Brief: „Der Brief, der unter beruflich Tätigen zur Unterschriftensammlung weitergeleitet und dann an die kirchenleitenden Gremien und damit auch mir zugeschickt wurde, spricht wichtige Punkte an: Die Ergebnisse der jüngsten Studien und Aufarbeitungsberichte zum Thema Sexualisierte Gewalt müssen in unserer Kirche zu vielen grundlegenden Veränderungen führen.
Der Brief zeigt die große Beunruhigung unter beruflich und ehrenamtlich Tätigen. Wir sind uns darin einig, dass in der Vergangenheit große Fehler gemacht wurden. Deshalb schaffen wir jetzt mehr Stellen für Prävention und Aufarbeitung, erstellen in allen Kirchenkreisen Schutzkonzepte und verankern sie in unserem Handeln. Das sind die zeitnahen Schritte. Andere Maßnahmen werden mehr Zeit brauchen, weil wir sie im Beteiligungsforum für alle evangelischen Kirchen und die Diakonie gemeinsam erarbeiten und beschließen müssen.
Was wir jetzt brauchen, sind Kommunikationsräume: Gestern und heute haben sich insgesamt 500 beruflich und ehrenamtlich Tätige aus allen kirchlich-hierarchischen Ebenen erstmals in zwei Zoom-Meetings darüber ausgetauscht, wie jede und jeder einzelne gerade unseren Umgang mit dem Thema sexualisierte Gewalt bei uns in der Kirche erlebt. Es war ein sehr offener und durchaus auch kontroverser und kritischer Austausch.
Die digitale Form mit dieser großen Zahl von Teilnehmenden bietet begrenzte Möglichkeiten. Doch wir brauchen mehr solcher Diskussionsräume, digital und in Präsenz für unser tägliches Handeln, für unseren Umgang miteinander, für unser Selbstverständnis.
Alle, die sich jetzt schon mit größtem Einsatz in unserer Kirche für Veränderungen engagieren, brauchen diese Austauschräume, um sich zu bestärken und zu vernetzen. Als Kirchenleitung werden wir diesen Prozess stärker voranbringen und fördern. Aber: Wirklich etwas verändern, werden wir nur, wenn jede und jeder in seinem und ihren Zuständigkeitsbereich die Verantwortung für diesen Kulturwandel übernimmt und wir alle daran arbeiten, sexualisierte Gewalt in unserer Kirche und den Kampf gegen sie als Thema zu enttabuisieren. Das schließt mich und alle in leitender Funktion ausdrücklich ein. Für mich ist deutlich: Die Kirche, auf die wir zugehen, darf und wird nicht die Kirche sein, die jetzt ist.“
Dr. Thela Wernstedt ist seit dem 13. September 2023 als Präsidentin der Klosterkammer Hannover tätig. Am 1. Juni 2024 wurde sie von Falko Mohrs, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur, feierlich in ihr Amt eingeführt.
Der Festakt in der Klosterkirche Wennigsen begann mit einer ökumenischen Andacht unter Leitung von Landesbischof Ralf Meister. Knapp 300 geladene Gäste nahmen teil. Grußworte sprachen neben Minister Falko Mohrs auch Marcus Bosse, Vizepräsident des Niedersächsischen Landtages, Dr. Heiner Wilmer, Bischof von Hildesheim, und Prof. Dr. Michael Manns, Präsident der Medizinischen Hochschule Hannover. Im Anschluss fand ein Empfang mit Imbiss und musikalischer Begleitung im Garten des Johanniterhauses Wennigsen statt.
Foto: (v.l.): Landesbischof Ralf Meister; Marcus Bosse, Vizepräsident des Niedersächsischen Landtages; Klosterkammer-Präsidentin Dr. Thela Wernstedt; Falko Mohrs, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur; Dr. Heiner Wilmer, Bischof von Hildesheim; und MHH-Präsident Prof. Dr. Michael Manns. Foto: Harald Koch
Zweimal im Jahr treffen sich die Mitglieder des Bischofsrates (Landesbischof und alle Regionalbischöfinnen und Regionalbischöfe) zu einer Klausurtagung. Im Januar wird im Kloster Loccum getagt, im Frühjahr findet die Klausur in der Regel extern statt. Sie dient der Pflege internationaler Beziehungen und dem Austausch über Projekte und Erfahrungen, die in anderen kirchlichen Kontexten gemacht werden. Die diesjährige Reise führte den Bischofsrat nach England. Landesbischof Meister als Co-Vorsitzender der EKD-Meissen-Kommission pflegt regelmäßig Kontakte zur Church of England.
Foto 2 und 3: Treffen mit Jonny Sertin in der St. Andrews Church, Eastfield zu "fresh expressions"
Foto 4: Treffen mit Bishop Jonathan Gibbs, Co-Chairman der Meissen-Kommission auf Seiten der Church of England
Als 13-jähriger bin ich in ein Pfadfinderlager nach Norwegen gefahren. Zu einem Welttreffen: dem Jamboree. Für mich ein spannendes Abenteuer, für meinen Vater ein tief berührendes Ereignis. Denn als er so alt war wie ich, hatte die Wehrmacht Norwegen überfallen und besetzt. Es war eine Unrechtsherrschaft. Für meinen Vater war es kaum zu glauben, dass Norweger deutsche Jugendliche herzlich empfangen könnten. Aber das taten sie.
Im Grundgesetz, dessen 75-tes Jubiläum wir in diesen Tagen feiern, heißt es in der Präambel: „von dem Willen beseelt, … in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk … dieses Grundgesetz gegeben.“.
„Von dem Willen beseelt …“ gehört für mich zu den schönsten Satzanfängen. „Beseelt zu sein“, also mit ganzer Seele, sich etwas zu wünschen. Hinter diesem Verlangen stand die Einsicht, eine ungeheure Schuld auf den Schultern zu tragen. Gab es eine Hoffnung, dass es wieder ein anderes Deutschland geben könne? Dafür wurde das Grundgesetz geschrieben, mit den großen Rechten der Freiheit und der unantastbaren Würde eines jeden Menschen. Es war ein Zeichen nach außen und eine Verpflichtung nach innen.
Dies ist der Tag, den der Herr macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein (Ps. 118,24).
Dieser Psalmvers wird heute an Pfingsten in vielen Kirchen gebetet. Wir feiern fröhlich den Geist, der uns frei macht. So verschieden wir auch sind, wir tragen gemeinsam Verantwortung, dass aus dieser Verschiedenheit etwas Gutes erwächst, nach innen wie nach außen. Von solch einem freiheitlichen Geist des Miteinander ist auch unser Grundgesetz beseelt. Also: Glückwunsch Grundgesetz und fröhliche Pfingsten! Ralf Meister "Zwischenruf" auf NDR 1 Niedersachsen
Menschen warten. Auf den Befund. Auf den Erfolg. Auf die Liebe. Darauf, dass Leid ein Ende hat oder das Leben endlich anfängt. Zwei Männer „warten auf Godot“ im Schauspiel von Samuel Becket. Sie wissen gar nicht, wer das ist. Aber sie hoffen, mit ihm wird es gut. Mit ihm lösen sich die Rätsel. Alles fügt sich und das Leben geht wieder auf.
So warten am Pfingsttag die Jünger und wissen selbst nicht, worauf. Sie sind beisammen, aber wissen nichts anzufangen. Alles ist zum Erliegen gekommen. Doch dann geschieht es. Als eben noch alle zu Boden starren, sagt der eine: Hej, ich weiß was. Und der nächste: Ich hab‘ ne Idee. Und der dritte: Kommt, wir versuchen was. Und der vierte: Los, wir gehen raus!
Meine Mutter hat immer zum „Stoßlüften“ geraten. „Fenster und Türen auf Durchzug. Einmal ein kompletter Luftaustausch, damit das Verbrauchte hinaus und das neue hereinkommt.“ Als die Jünger damals im Haus festsitzen mit ihren verbrauchten Ideen, werden sie durchgeweht. Gott reißt ihnen Fenster und Türen auf. Mit dem Wind kommt die Energie, die sie wie mit Feuerzungen durchströmt. Sie gehen hinaus und sprechen, wie sie es noch nie getan haben.
Ein Wind weht durch den Stillstand und ein neuer Geist in die Leere. Das ist Pfingsten. Gut, dass es diesen Geist gibt. Ich brauche ihn. Wir brauchen ihn wohl alle hin und wieder, wenn die Dinge ins Stocken kommen. Aus diesem Geist entsteht die Kirche. Sie braucht diesen Geist immer wieder. Wo er weht, kommt Lebendigkeit auf.
Wir sollen sagen dürfen: Das gibt es. Das kann passieren. „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf.“ Nicht nur das Warten gehört zum Leben, sondern das andere auch. Gut, dass es ihn gibt, diesen Geist, der lebendig macht. Er ist von Gott in die Welt gesandt und weht unverhofft wie und wo er will. Wir werden Energie finden und hinausgehen. Es ist uns verheißen, dass wir geist-voll sein werden, geist-reich und voll von neuem Leben; brechen wir auf!
Milena Michiko Flašar ist in Kassel mit dem Evangelischen Buchpreis ausgezeichnet worden
Die Schriftstellerin Milena Michiko Flašar ist am Mittwoch (15. Mai) in Kassel mit dem Evangelischen Buchpreis 2024 ausgezeichnet worden. Sie erhielt denmit 5.000 Euro dotierten Preis für ihren Roman „Oben Erde, unten Himmel“, der sich mit dem Thema einsames Sterben auseinandersetzt. „Wir haben es mit nichts Geringerem zu tun als einem literarischen Wunder“, würdigte Annemarie Stoltenberg (NDR) den Roman in ihrer Laudatio während der Feierstunde im Haus der Kirche.
Laudatorin: Text lebt von trockenem Humor und Herzensbildung
In „Oben Erde, unten Himmel“ erzählt die japanisch-österreichische Autorin von einer jungen Frau, die Leichenfundorte reinigt. Das klinge zunächst abschreckend, erläuterte Stoltenberg. „Aber so wie Milena Michiko Flašar davon erzählt, wird es zu Literatur – mit Witz und Würde, Anmut, nahezu verblüffender Leichtigkeit und tiefem Ernst.“ Der Text lebe vom „trockenen, bisweilen herrlich morbiden Humor dieser Autorin, ihrer nahezu weisen Lebensphilosophie und Herzensbildung“, so die Laudatorin. Flašar sei „einer der schönsten, fragilsten, poetischsten und erstaunlichsten Texte über den Tod in unserer modernen Welt“ gelungen, lobte Stoltenberg. Das Motiv des ewigen Lebens formuliere die in Wien lebende Schriftstellerin mit Zartheit, Humor und „nahezu mit Engelsflügeln beschwingt“.
Flašar: Preis als Motivation, sich mit Sein, Werden und Nicht-Sein auseinanderzusetzen
Sie sei gerührt und fühle sich geehrt, sagte Milena Michiko Flašar bei der Preisverleihung, die am Flügel von Pianistin Natsuko Inada umrahmt wurde. Als Autorin arbeite sie für gewöhnlich still vor sich hin, mit dem Peis habe diese Stille aber ein Ende. Sie dankte der Jury, den Roman trotz des schwierigen Themas ausgezeichnet zu haben. „Das bestärkt mich, mich weiter mit dem Sein, dem Werden und dem Nicht-Sein auseinanderzusetzen.“
Bischöfin Hofmann: Evangelische Büchereien sind viel mehr als Ausleihorte
In ihrer Begrüßung hatte Dr. Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) und in diesem Jahr Gastgeberin der Verleihungsfeier, auch die evangelische Bücherei-Arbeit vorgestellt. Evangelische Büchereien seien viel mehr als Ausleihorte, sie ermöglichten Begegnung und bildeten eine Brücke zwischen Kirche und Menschen am Ort. „Sie sind Türöffner, Lebensbegleiter, Kulturort und wichtiges Element in der Bildungslandschaft“, zählte die Bischöfin auf. Allein dem Landesverband Evangelischer Büchereien Kurhessen-Waldeck seien 80 Büchereien in Kirchengemeinden, Kindertagesstätten und Schulen angeschlossen, in denen annähernd 300 ehren- und nebenamtliche Mitarbeitende tätig seien. Ihnen galt ihr Dank, außerdem den Leserinnen und Lesern, die sich mit ihren Vorschlägen beteiligt hatten und der Jury des Buchpreises, die schließlich „Oben Erde, unten Himmel“ ausgewählt hatte. Bücher wie dieses entführten in eine andere Welt und zugleich mitten in das eigene Leben und seine Fragen hinein. „Was macht Leben aus, gerade im Angesicht des Todes?“, so die Bischöfin.
Landesbischof Meister: Ein Buch gegen den Zeitgeist, die Toten zu vergessen
Landesbischof Ralf Meister (Hannover) hatte als Vorsitzender des Evangelischen Literaturportals den Preis übergeben. Er würdigte „Oben Erde, unten Himmel“ als ein Buch, das gegen den Zeitgeist geschrieben wurde, die Toten zu vergessen. Der Roman zeige, „wie der Umgang mit den Toten belebt und aus der Einsamkeit befreien kann“. Als „großen Glücksfall“ bezeichnete Lektorin Annette Wassermann (Wagenbach Verlag) Flašars Buch. Es fordere auf zu Sorgfalt, Verbindlichkeit, Freundschaft und Zuversicht – all das habe die Welt „bitter nötig“.
Zum Roman „Oben Erde, unten Himmel“ und zur Autorin
Milena Michiko Flašar nimmt in ihrem Roman „Oben Erde, unten Himmel“ das Thema einsames Sterben in den Blick. Sie erzählt von einer Reinigungskraft, die Leichenfundorte säubert und greift dabei Themen wie die soziale Isolation in Großstädten, die Würde des Menschen und den Umgang mit Leben und Tod auf. Flašar, geboren 1980 in St. Pölten, studierte in Wien und Berlin Germanistik und Romanistik. Sie ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Wien.
Hintergrund: Evangelischer Buchpreis
Seit 1979 vergibt das in Göttingen ansässige Evangelische Literaturportal – der Dachverband der bundesweit rund 800 evangelischen Büchereien – den mit 5000 Euro dotierten Evangelischen Buchpreis. Titel werden nicht von den Verlagen oder Autoren, sondern von Lesenden vorgeschlagen. Gesucht und ausgezeichnet werden Bücher, „die anregen, über uns selbst, unser Miteinander und unser Leben mit Gott neu nachzudenken“. In der Jury arbeiten Mitarbeitende aus den Mitgliedsbüchereien, aus den Landesverbänden der evangelischen Büchereiarbeit und aus der Redaktion des Ev. Literaturportals, außerdem Pfarrpersonen und Pädagoginnen und Pädagogen. Weitere Informationen unter www.eliport.de/buchpreis
Landesbischof Ralf Meister hat die Proteste gegen die Teilnahme der israelischen Sängerin Edon Golan beim Eurovision Song Contest (ESC) am Sonnabend im schwedische Malmö kritisiert. Das gute Miteinander, das auch das Motto des ESC „United by Music“ propagiert habe, sei immer wieder gefährdet gewesen, sagte er am vergangenen Sonntag im Gottesdienst in der Marktkirche Hannover anlässlich des Internationalen Kinder- und Jugendchorfestivals. „Die Musik, so schien es in den Tagen zuvor, reicht nicht, um friedlich zusammen zu feiern.“
Meister kritisierte zugleich beide Seiten des Gazakrieges. Die Terrororganisation Hamas wolle Vernichtung. Die Regierung Israels „mit verurteilten Straftätern auf der Regierungsbank bleibt uneinsichtig“, sagte der Meister in seiner Predigt. Viele Menschen fragten sich, wo es angesichts von so viel Zerstörungssucht und Vergeltungsgedanken noch Hoffnung geben könne. „Wieviel Gewalt erträgt diese Welt? Und genauer: Wie hegt man das Böse ein? Was hilft uns, mit dieser Zerrissenheit umzugehen?“
Meister erinnerte an den Propheten Jeremia, der ein halbes Jahrtausend vor der Geburt Jesu ebenfalls in einer Zeit von Krieg und Zerstörung gelebt habe. Er habe die Menschen vielfach vergebens zur Umkehr aufgerufen. „Manchmal erschauert man, wie passgenau alte biblische Erzählungen Facetten unseres Verhaltens beschreiben. Wir wollen und können nicht. Es drängt uns zur Umkehr, und wir bleiben dennoch die, die wir immer waren.“
Meister rief dazu auf, trotz allem die Hoffnung nicht aufzugeben. „Gott will die Welt nicht, wie sie ist. Und wir singen und träumen von einer besseren, einer neuen Welt und rufen sie herbei.“