
Bild: "Wenn es der Belebung des Stadtlebens dient, kann die Sonntagsöffnung erlaubt werden." Foto:Norman Klaß
Warum soll man sonntags nicht am Computer sitzen und shoppen, Herr Landesbischof?
Landesbischof Ralf Meister.
Jesus muss in diesem Buch mühsam lernen, was es heißt, mit der freien Zeit etwas anzufangen und sie als Muße zu begreifen. Das ist der Sinn des arbeitsfreien Sonntags, der im mittleren Osten vor Jahrtausenden entstanden ist und durch die christlich-jüdische Tradition zu uns kam: Der Mensch soll seine gewohnte Arbeitsweise unterbrechen, zur Besinnung kommen und sich zumindest kurzzeitig aus der ökonomischen Sklaverei befreien.
Meister: Ja, durchaus. Es freut mich, eine relativ gesicherte breite Mehrheit in Politik und Gesellschaft in Niedersachsen zu finden, die den Sonntag als arbeitsfreien Tag schützen und ihn vor einem Ausverkauf bewahren will. Die Regel mit den bis zu vier Sonntagen im Jahr, an denen Geschäfte geöffnet haben dürfen, finde ich gut – die evangelischen Kirchen in Niedersachsen können das gut mittragen. Wenn ich daran denke, wie noch vor wenigen Jahren in anderen Bundesländern über dieses Thema diskutiert wurde…
Rundblick: Was meinen Sie?
Meister: In Berlin zum Beispiel ist vor zehn Jahren die Debatte heftig entfacht worden, weil dort zur Adventszeit alle vier Sonntage vor Heiligabend verkaufsoffen waren. Das hat das Bundesverfassungsgericht dann unterbunden, sehr zu unserer Zufriedenheit. Und wir begrüßen sehr, dass die Adventssonntage in Niedersachsen nach dem Gesetzentwurf auch in Zukunft nicht verkaufsoffen sein werden.
Meister: Das war damals das Argument derer, die wirtschaftliche Chancengleichheit forderten und die Zeiten unbedingt ausweiten wollten. Heute indes, das müssen wir erkennen, ist die Diskussionslage eine völlig andere. Auf der einen Seite haben wir den Ladenschluss an fast allen Sonntagen, auf der anderen den immer stärker werdenden Trend, Waren auch am Sonntag zuhause bequem per Knopfdruck im Internet zu bestellen. Damit wird die Grundfrage des Sonntagsschutzes neu gestellt.
Meister: Das kann ich noch nicht sagen. Aber die Frage müssen wir auf jeden Fall stellen. Was schafft die automatisierte Ökonomisierung an Schaden für unsere Gesellschaft? Welche Widrigkeiten schafft sie, die wir womöglich nicht einfach so hinnehmen können? Zu überlegen wäre, ob man dann einschreiten sollte, wenn die Sonntagsbestellung am Computer dazu führen sollte, dass an diesem Sonntag auch irgendwo ein Mitarbeiter die Ware heraussuchen, verpacken und versandfertig machen muss. Dann hätte der Internethandel Sonntagsarbeit zur Folge, das wäre nicht zu tolerieren.
Meister: Im Gesetzentwurf gibt es eine schöne Formulierung, die auf „die Belebung der Gemeinde oder eines Ortsbereichs“ abzielt. Also: Wenn es der Belebung des Stadtlebens dient, kann die Sonntagsöffnung erlaubt werden. Das halte ich für einen guten Ansatz, wenn der Sinn der Geschäftsöffnung an den wenigen vorgesehenen Sonntagen in einer Art Gemeinschaftsstiftung gesehen wird. Das darf natürlich nicht dazu führen, dass die Öffnung sämtlicher Läden an sich schon für eine Belebung gehalten wird. Dafür sind auch immer kulturelle Ereignisse wie Konzerte, Theateraufführungen oder Lesungen notwendig. Dann wird hier der Unterschied deutlich: Wer zuhause bei einem Online-Händler seine Ware bestellt, agiert isoliert und für sich allein, da ist beim Kaufvorgang nichts Gemeinschaftsstiftendes dabei.
Meister: Die Möglichkeiten von Politik, Kirche und Medien, die Bedürfnisse der Menschen zu steuern und zu stärken, sind sehr begrenzt. Die Kirche achtet aus theologischen Gründen den Freiheitswert des einzelnen und hält ihn für ein wichtiges Rechtsgut. Aber wir weisen schon auf Entwicklungen hin, die problematisch werden können. Darin sehe ich eine wichtige Aufgabe der Kirche.