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BischofsBLOG: Besuch in Indien

Mon, 01 Feb 2016 07:23:03 +0000 von . Bischofskanzlei

Tag 5, Eintrag 1: Von Kasten, Rückkehr zu den Ursprüngen und dem Verhältnis von Hindus und Christen

Zugfahrt von Bangalore nach Chennai. In den frühen Morgenstunden als wir die Vorortsiedlungen Bangalores durchfahren, leuchtet in tiefem Orange der Morgenhimmel durch die Hochhausschatten. In unserem Abteil sind wir die einzigen Europäer, die mit dem Schnellzug die 350 Kilometer in fünf Stunden zur Hafenstadt Chennai reisen. Die Temperaturen, die uns in Bangalore schon sommerlich mit 25-30 Grad verwöhnten, werden in Chennai, das auf gleichem Breitengrad liegt, noch einmal um 5 Grad höher liegen. Bangalore liegt 1000 Meter hoch, Chennai auf Meeresebene. Chennai hieß ehemalig Madras.

Diese Stadt hat wie einige andere während der ersten Regierungszeit der national-hinduistischen Partei BJP ihren Namen geändert. Bombai wurde zu Mumbai, Kalkutta zu Kolkatta. Die Einflüsse der kolonialen Namensgeber sollten abgelehnt werden. Einige Namensveränderungen haben sich auch international längst etabliert, andere werden auch innerhalb Indiens nur zögerlich übernommen. Vor den Fenstern rauschen im morgendlichen Dunst Felderanlagen, Eukalyptusbaumhaine und Palmenplantagen vorüber. Zwischen den Gemüse oder Reisfeldern, die durch die Bewässerung wie kleine ebene Wiesen liegen, stehen einzelne Palmen und wachsen Strauchzeilen auf. Neben all den prägenden Eindrücken der letzten Großstadttage sind es beruhigende und fast idyllische Bilder, die einem aus üppigen Bildbänden über Indien bekannt vorkommen. Gebückte Feldarbeiterinnen, Moped fahrende Männer, einzelne wandernde Menschen auf staubigen Straßen. Zwischendurch schleichende Stadtdurchfahrten mit Müllsammlern an den Gleisen, die hilflos aus den dichten Plastikabfallbändern neben den Bahndamm einzelne Stücke aufheben und in einen Sack packen. Regelmäßig erklingt das Horn der Lok, die vor Übergängen, Bahnhöfen und wohl zur allgemeinen Aufmerksamkeit ihr Herannahen signalisiert.

Am Samstag begannen wir mit einem Impuls-Vortrag durch einen Professor der UTC über die hinduistisch-christliche Zusammenarbeit in Indien. Mit welchen Bildern trafen die Religionen in ihrer Geschichte aufeinander? Welche Eindrücke veränderten die jeweilige Selbstwahrnehmung der eigenen Religion? Die Veränderungen, die durch die Einwanderung der Muslime im späten Mittelalter und die Kolonialisten entstanden, haben die breite Anpassungsleistung des Hinduismus als toleranter Religion geschärft. Die sozial trennende Grundregelung im Kastenwesen überstand alle Veränderungen. Im ländlichen Kontext ist sie prägend und segregierend präsent geblieben. In den urbanen Ballungsräumen hat sich sich nicht aufgelöst, aber ihre Trennschärfe verloren. Die Menschen der untersten Kaste, die Unberührbaren, die Dalits, wurde durch rechtliche Rahmenbedingungen seit der Staatsgründung besonders in den Blick genommen. Garantierte Abgeordnetensitze im Parlament gehören ebenso dazu wie die Garantie bestimmte Erziehungs- und Versorgungleistungen des Staates zu erhalten. Trennend blieb allerdings, für die Arbeit der Kirchen entscheidend, dass seit 1954 ein Dalit, der Christ wurde, aus staatlichen Unterstützungsleistungen herausfällt. Viele Versuche diese staatliche Diskriminierung politisch oder vor den Gerichten zu klären sind bisher gescheitert. Das noch anhängige Verfahren vor dem Supreme Court, dem Verfassungsgericht, läuft bereits seit ca. 8 Jahren.

Auch wenn das Kastenwesen originär wohl nicht mit der Religion des Hinduismus verbunden war ist es zur prägenden Gestalt innerhalb der hinduistischen Gesellschaft geworden. Selbst wenn sich zunehmend die starken Abgrenzungen auflösen ist eine kastenübergreifende Hochzeit immer noch eine Ausnahme. In Anzeigen in den Zeitungen wird auf die Kastenzugehörigkeit der Brautleute oft ausdrücklich hingewiesen. Die Toleranz des Hinduismus, so der Vortragende, ist durch die politische Entwicklung zur Zeit gefährdet, weil eine gesellschaftliche Ausgrenzung von Christen wie Muslimen in dieser Form des kulturellen Nationalismus entsteht. „Die Rückkehr zu den Ursprüngen“ führt z.B. zu einer verstärkten Verehrung der Kuh, verbunden mit einer Diskussion, grundsätzlich das Schlachten von Rindern in Indien zu verbieten.

Vor einigen Monaten, so berichtet er, wurde in der Region von Mumbai ein Muslim gelyncht, dem vorgeworfen wurde, Rindfleisch besessen zu haben. Die historische Verhältnisbestimmung zwischen Christen und Hindus, die seit fast 2000 Jahren friedlich verlaufen ist - die zahlreichen orthodoxen Kirchen verweisen für ihre Existenz im Land auf den Apostel Thomas, der im Jahr 52 nach Indien gekommen sein soll und dort 54 den Märtyrertod gestorben sei – durchläuft momentan jedenfalls eine Belastungsprobe. Auffällig blieb, dass im Vortrag diese Klage nicht verbunden wurde mit einer Beschreibung der Herausforderungen für die Kirche. Welche Rolle zu politischen Interventionen, welche Fähigkeiten zur Demokratiebildung, welche Chancen zum direkten Dialog mit hinduistischen Partnern werden am UTC genutzt?
Quelle: Michael Thiel
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