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Jüdische Sichtweisen auf Martin Luther

Thu, 31 Oct 2019 11:52:49 +0000 von . Bischofskanzlei

Der Angriff auf jüdische Synagogenbesucher in Halle an der Saale war dem Berliner Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama zufolge ein Angriff auf die gesamte deutsche Gesellschaft. "Die Geschichte zeigt: Wenn eine Minderheit angegriffen wird, geht es bald darauf auch anderen Minoritäten an den Kragen", sagte der jüdische Theologe und Historiker. Am Ende leide auch die gesellschaftliche Mehrheit unter solchen Zuständen. Nachama sprach auf Einladung von Landesbischof Meister in der jährlichen Reihe "Was gesagt werden muss - Judentum und Reformation" am Vorabend des Reformationstages in der Marktkirche Hannover über jüdische Sichtweisen auf Martin Luther. 

Nachama, der seit 32 Jahren die Ausstellung "Topographie des Terrors" in Berlin leitet, betonte: Der evangelische Reformator sei "einer der konsequentesten Anti-Judaisten" der Geschichte gewesen, betonte der Historiker. Luther habe seinen Hauptfeind - die katholische Kirche - "judaisiert". Die Kirche sei in seinen Augen "des Teufels Synagoge" gewesen. "Luther ging damit weiter als andere Anti-Judaisten." Es sei jedoch unangemessen, Luther als Antisemiten zu bezeichnen, unterstrich Nachama. Denn der Begriff und die dahinterstehende rassistische Ideologie seien erst 250 Jahre später aufgekommen.

Trotz Luthers anti-jüdischen Positionen habe der Reformator unter jüdischen Gelehrten im 19. Jahrhundert teilweise großes Ansehen genossen. Gerade in der jüdischen Reformbewegung sei sein Grundsatz "sola scriptura" ("Allein durch die Schrift") auf Zustimmung gestoßen. Zudem habe sich Luthers Bibelübersetzung stark an der Hebräischen Bibel orientiert, erläuterte Nachama.

Während des Faschismus sei Luther von den Nazis und rechtsextremen Christen politisch vereinnahmt worden. Der evangelische Landesbischof Thüringens, Martin Sasse, habe die brennenden Synagogen der Reichpogromnacht 1938 als eine Art Geschenk zu Luthers 450. Geburtstag dargestellt. Doch es habe auch evangelische Theologen gegeben, die Juden im Dritten Reich geholfen hätten, sagte Nachama. Diese Pastoren hätten nach dem Krieg den bis heute gut funktionierenden christlich-jüdischen Dialog in Deutschland entwickelt. (epd/red.)
Quelle: Jens Schulze
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