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Manchmal geht uns die Fülle des Lebens verloren

Mon, 14 Apr 2025 07:33:21 +0000 von . Bischofskanzlei

„Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an.“ Markus 14,3-5 (Luther2017)

Manchmal geht uns die Fülle des Lebens verloren. Der Blick verengt sich, Krisen und Sorgen nehmen überhand. Wir freuen uns nicht mehr an Büchern, die darauf warten gelesen zu werden, an Liedern, die gesungen und Träumen, die geträumt werden möchten. Die Schönheit und Fülle des Lebens sind verdunkelt. In eine solche Situation hinein spricht die biblische Erzählung von der unbekannten Frau, die einen Männerkreis im Hause Simons betritt. Mit ihr gehen wir in die letzte Woche der Passionszeit, die Karwoche.

Mit einem Salbengefäß in der Hand geht die namenlose Frau auf Jesus zu, zerbricht es und gießt das Öl behutsam über Jesu Haupt. Bis zum letzten Tropfen fließt das Öl über seinen Kopf. Echtes Nardenöl, das kostbarste Öl, das man kannte. Ein Zeichen großartiger Verschwendung, wenn das Leben die Fülle verliert. Eine Wohltat für die Sinne. Eine Geste liebevoller, persönlicher Zuneigung zu Jesus. Es war bekannt, dass große Männer Israels durch die Hand von Propheten zu Königen gesalbt worden waren. So viel Zuwendung für ihn, der weiß, dass der Tod nahegekommen ist. 

Ein wunderbarer Duft erfüllt den Raum. Ein Duft, der nicht allen gefällt. Dicke Luft macht sich breit! Was für eine Verschwendung! Das Geld hätte besser genutzt werden können! Kleinliches Denken beginnt. Wir rechnen auf, wir rechnen nach. Wir stellen Verlust und Gewinn nebeneinander und übersehen die Fülle, die das Leben uns bietet. 

„Lasst sie in Frieden!“ sagt Jesus. „Kränkt sie nicht mit eurer Kritik. Sie hat ein gutes (kalon = schönes) Werk an mir getan." Er ersetzt den Tadel durch Lob und Anerkennung. „Schön" nennt er ihre Geste. Ein schönes Werk ist ein Werk aus Liebe. „Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden“. (Franz Kafka) 

Es gibt Elemente der Verschwendung, die reichen weit über unsere Lebenszeit hinweg. Es gibt Momente der Liebe, aus denen nähren wir uns noch, wenn die Welt sich schon längst in anderen Zeiten dreht. Eine solche Kraft entsteht aus der liebenden Zuneigung der Frau. Kleinliches Rechnen hat keinen Platz, wo die Fülle sich Raum nimmt. Daran will ich denken in dieser Woche.

Eine gesegnete Karwoche wünscht Ihnen

Ralf Meister 
Quelle: Pixabay
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