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Er kommt in die Freude und in die Angst

Sat, 24 Dec 2016 10:09:49 +0000 von . Bischofskanzlei

Es muss ein Faltposter aus der Apothekenrundschau gewesen sein. Jahr um Jahr hing dieses Bild Die Anbetung der Heiligen Drei Könige von Rogier van der Weyden in der Advents- und Weihnachtszeit über dem kleinen Sideboard neben dem Esstisch bei uns zu Hause. Mit Tesa-Film an der Wand befestigt, wurde es mit den Jahren immer etwas schäbiger an den Ecken, und die Knickfalze druckten trübe Linien über das Bild. Doch die prachtvolle Szene mit der entrückt schauenden Maria, dem greisen Joseph, dem nackten Kind und den Königen in reich verzierten Gewändern in einer zerfallenen Hütte blieb immer farbenreich anschaulich. Dieses Bild löste für mich die Kinderphantasien von weihnachtlichen Schneebildern mit einer frierenden heiligen Familie ab, denen ich am liebsten meine Winterjacke und meine Bettdecke geschenkt hätte.

Die Farbenpracht und die Intimität der Szene im Dreikönigsbild von Rogier von der Weyden fasziniert mich bis heute. Oft stand ich lange davor und empfand es als unglaublich, dass man überhaupt eine solche Malerei schaffen konnte. Viele Details dieses großartigen Altarbildes regten bei mir in den ersten Jahren neue Phantasien an: Wohin liefen die Menschen in der Stadt? Warum hatten die Könige nach ihrer wochenlangen Reise noch so pieksaubere Kleidung? Wollte keiner das Dach im Stall reparieren oder wenigsten die Fenster abdichten? Erst vor wenigen Jahren sah ich das Bild zum ersten Mal im Original in der Alten Pinakothek in München und sofort war - mitten im Sommer - Weihnachten. Ich sah meine Eltern und meine Geschwister am Heiligen Abend vor dem Putenbraten und Rotkohl am Esstisch sitzen.

Mir ist als Jugendlicher erst nach einigen Adventjahren das kleine, besondere Detail aufgefallen: Das Kruzifix an der Rückwand des Stalles. Schlicht und am Mittelpfeiler so aufgehängt, als sei es das Selbstverständlichste, dass der Gekreuzigte hinter dem neugeborenen Jesuskind hängt. Der Gekreuzigte schon gegenwärtig mitten in der Heiligen Nacht? Geburt und Tod nebeneinander. Es gibt kein Leben ohne Anschauung des Todes.

„Schau, wie das Knäblein Sündelos / Frei spielet auf der Mutter Schoß! / Und dort im Walde wonnesam / Ach, grünet schon des Kreuzes Stamm.“ So dichtet Eduard Mörike in Auf ein altes Bild.

Das wollen wir nicht, dass uns ins Idyll der Weihnachtsnacht auch noch die Traurigkeit hineingerät. Diese geretteten schönen Stunden sollen doch frei bleiben von Abschied und Tod. Das mag ein schöner Gedanke sein, aber er bleibt eine Illusion. Denn in jedem Weihnachtsfest schwingt doch der Abschied immer schon mit. Der Abschied aus der Kinderweihnacht, dem faszinierenden Zauber dieser Nacht, der immer wie ein großes Wunder über uns kam und uns in tagelange Aufregung versetzte. Dazu kamen die nicht erfüllten Wunschzettelwünsche. Doch viel wichtiger wurden die späteren Abschiede und auch Traurigkeiten von den eigenen, so tief gegründeten Träumen: ein Weihnachten noch einmal mit allen Kindern, ein Weihnachten noch einmal mit der kranken Mutter? Ein Weihnachten...?

Das Wunder dieser Nacht ist nicht nur glückschwingendes Läuten aus einer fernen Welt, sondern trägt die ganze vergängliche Welt in diese Stunden. Und darin auch die Melancholie, dass die schönsten Augenblicke immer schon Vergänglichkeit atmen. In Krippe und Kreuz steht uns das vor Augen. Auch unsere Weihnachtslieder erzählen von dieser unlösbaren Verbindung: In „O du fröhliche, O du selige, Gnadenbringende Weihnachtszeit“ singen wir „Christ ist erschienen, uns zu versühnen. Freue, freue dich, o Christenheit“. Auch „Ihr Kinderlein kommet“ klingt zunächst sehr nach Krippenidylle. Doch in der fünften Strophe heißt es: „O betet: Du liebes, du göttliches Kind, was leidest du alles für unsere Sünd! Ach hier in der Krippe schon Armut und Not, am Kreuze dort gar noch den bitteren Tod.“

Nah kommt Gott uns, ganz nah. In unseren Krippenmomenten, wenn wir uns über Neues freuen, wenn wir aufbrechen und hoffnungsvoll in die Zukunft sehen. Und in unseren Kreuz-Erfahrungen, wenn wir verzweifelt sind, wenn wir nichts Gutes sehen können und unsere Kräfte ans Ende kommen. Er kommt in die Freude und in die Angst. In den Abschied wie in den Anfang. Alle Schritte unseres Lebens sind schon mit seiner Gegenwart gefüllt.

Der Ruf des göttlichen Engels über dem Stall von Bethlehem ist nie verstummt: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude!“ Er klingt herüber zu uns in jeder Heiligen Nacht und begleite Sie durch diese Weihnachtszeit!

Ihr

Ralf Meister

Zur Weihnachtspredigt von Landesbischof Meister
Quelle: Rogier van der Weyden, Anbetung der Könige, Columba-Altar, Bayrische Gemäldesammlung, No: 50010412
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