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BischofsBLOG: Besuch in Indien

Mon, 01 Feb 2016 07:27:31 +0000 von . Bischofskanzlei

Tag 5, Eintrag 2: Im Slum: Willst du die Welt zum Guten wandeln, setz auf Frauen!

Der nächste Ausflug führt uns in einen Slum, in dem uns Ruth Manorama zeigt, wie sie für die Bevölkerung eines Slumgebiets eine angemessene Unterkunft realisieren konnte. R. Grimsmann führt in seinen Dankesworten vor der Bewohnerschaft aus: „Nicht ihr habt das Slum verlassen, sondern das Slum habt ihr vertrieben.“ Der Ort, an dem wir uns treffen, ist ein Innenhof eines dreigeschossigen Wohngebäudes, zu deren Wohnungen mehrere äußere Treppenaufgänge zu den ca. 40 Wohnungen führen. Vor zwei Jahren ist die Bewohnerschaft eingezogen, die zuvor in Wellblechhütten und einfachsten Unterkünften an diesem Ort sich aufgehalten hat. Umringt ist das Gebäude von anderen Häusern, wenige Meter bis zu einer dicht besiedelten Geschäftsstraße, in der sich ein kleines Geschäft an das nächste reiht. Das Quartier hat sich mit politischen Aktionen gegen das Bauprojekt gewandt, um den Verbleib der Slumbewohner zu verhindern.

Meine Erwartung nach den riesigen Townships in Südafrika war bei der Ankündigung des Besuchs eine andere gewesen. Hier ist ein außerordentliches Projekt sozialer und städtebaulicher Regionalentwicklung gelungen. In einem fast zweieinhalb stündigen Programm unterhalten uns Kinder und Jugendliche auf einer Bühne im Innenhof. Die Vorführungen sind auf einem großen Betonsockel platziert, der den Wassertank abdeckt. Tänze, Gesang und kurzen Reden zeigen die unglaubliche Kultur, die Freude in Darstellung und Schmuck und Farbenvielfalt einzubringen. Während der Aufführungen sitzen ca. 50 Bewohnerinnen mit ihren Kindern auf Matten vor der Bühne, während für uns Plastikstühle arrangiert sind. Zum Ende treffen noch, auf der Pritsche eines LKW herangefahren, Kinder aus einem Slum in der Nachbarschaft ein, die kostbar gekleidet und aufwendig geschminkt die Tanzvorführungen in Begeisterung und Leidenschaft fortführen. Sofort kommen mir Bilder aus Bollywood-Filmen, die ich - auch aufgrund ihrer endlosen Länge - niemals bis zum Ende sehen konnte. Hier nimmt mich die bunte, lebensfrohe Tanz- und Gesangskultur sofort ein. Was wird im Tanz ausgedrückt, was in den lähmenden Bedingungen des übrigen Lebens keine Form mehr findet? Was singt sich heraus, was in der Sprache der Hoffnung sonst keinen Ort mehr hätte? Immer geht es um Liebe, Begehren, Sehnsucht.

Als Ruth Manorama von der Geschichte des Projektes redet, führt sie viele der Anwesenden auf, die in der Social Society und der womans voice, den beiden Bewegungen, denen sie vorsteht mit dabei gewesen sind. Die Wohnungen, die knapp dreißig Quadratmeter groß sind und meist mit mindesten 3-5 Personen bewohnt werden, haben einen Eingangswohnraum, an den eine kleine Küche angeschlossen ist. In der Ecke dieses Wohnbereiches steht oft hinter einer Schranktür ein Hausaltar mit Götterfiguren, Schmuckutensilien und Lichtern. Ein Schlafraum von vielleicht 6 qm schließt sich an sowie ein kleines Badezimmer. Zwei Wohnungen dürfen wir besuchen, ziehen die Schuhe vor dem Eintreten aus und stehen im Wohnraum. Auch wenn es kurze Gespräche mit der Bewohnerin gibt, Lob über die Einrichtung, Fragen zur Dekoration oder den wenigen Bildern, die Männer halten sich sehr im Hintergrund, sind mir solche Aufforderung immer unangenehm. Was habe ich dort zu suchen?

Doch zugleich zeigt die Stärke dieser Frauen, was möglich ist um Lebensbedingungen zu verändern. Willst du die Welt zum Guten wandeln, setz auf Frauen! Ruth Manorama gelingt es in Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden, dass als Besitzerin der Wohnung immer die Frauen eingetragen werden. Als die Proteste gegen das Hausprojekt vor einigen Jahren erfolgreich schienen und die Slumbevölkerung außerhalb der Nachbarschaft umgesiedelt werden sollte, was für viele vermutlich der Verlust ihrer häuslichen Hlifsjobs bedeutet hätte, hat Ruth Manorama Demonstrationen mit vielen hundert Slumbewohnern organisiert, die politischen Druck aufbauen konnten. Alle Kinder gehen zur Schule.

Besonders berührt bin ich, als ein 10-jähriger Junge mich mit einigen deutschen Wörtern anspricht. Er hat als Sprache Deutsch in der Schule gewählt und zeigt mir stolz sein Buch, aus dem er lernt. Zum Ende der Veranstaltung erhalten wir Gäste einen Schal und einen üppigen Blumenkranz umgehängt, der von den Bewohnerinnen gebunden worden ist und rote Rosen und Jasminblüten zusammenfügt. Ähnliche Blumenkränze und Gebinde findet man in Fülle bei der Ausstattung der Götterstatuen. Ein Ausdruck der Wertschätzung. Mit dem intensiven Geruch der Blumen machen wir uns wieder auf den Weg zurück zum Gästehaus im UTC, um 30 Minuten später schon wieder aufzubrechen um in einem Aussenbezirk Bangalores zu einem Abend der Deutschen Gemeinde zusammenzukommen.
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