© Bischofskanzlei

Ich möchte so leben als ob

Sat, 30 Nov 2019 21:55:55 +0000 von . Bischofskanzlei

Gedanken zum Advent von Landesbischof Ralf Meister

Augenweide. Saumselig. Tausendsassa. Haben Sie diese Wörter schon mal benutzt? Wenn ja, dann ist es bestimmt schon eine Weile her. Noch so ein fast vergessenes Wort, das mich immer wieder berührt: „sanftmütig“. Besonders schön hört es sich gesungen an, in der zweiten Strophe des alten Adventsliedes „Macht hoch die Tür…“: „Sanftmütigkeit ist sein Gefährt.“ Als Kind klang es für mich schön und geheimnisvoll zugleich. Ich habe die Sanftmut mit Samt in Verbindung gebracht und immer gesungen „samtmütig“. Was das war, wusste ich nicht, aber ich kannte diesen weichen Stoff, der nur selten vernäht wurde. Später, als Erwachsener, habe ich begriffen, dass in diesem Wort „sanftmütig“ alles angelegt ist, was kommt: das Kind in der Krippe. Der Gottessohn, der die Menschen liebt. Der am Kreuz stirbt und aufersteht. 

Ein König, der sanftmütig kommt. Können wir den brauchen? Wird der sich durchsetzen können? Kann der den Despoten und Diktatoren Paroli bieten? Braucht es damals wie heute nicht einen, der Macht hat? Der für Frieden in Syrien sorgt. Der die Terrornester aushebt. Der den Steuerbetrügern auf die Schliche kommt. Den Menschenschleusern das Handwerk legt. Ist Sanftmütigkeit da wirklich das richtige Gefährt?

„Wer das Leben liebt, wer das Recht will“, so sagt es der Theologe Fulbert Steffensky, „muss Macht wollen.“ Ein sanftmütiger König auf einem Esel, was richtet der aus? Ich sehe den sanftmütigen König in seine Stadt einziehen. Und entschließe mich, mitzuarbeiten, dass in unser Gemeinwesen Frieden einzieht. Dazu gehört, denen eine Absage zu erteilen, die die Verrohung in unserer Gesellschaft und unserer Sprache vorantreiben. Ganz gleich, ob sie dies unter dem Deckmäntelchen ihrer Religion tun oder gar mit völkischer Gesinnung. Ob sie sich auf der „richtigen“ Seite wähnen. Ob sie mit dem Vorwand eines wie immer auch verstandenen nationalen Bewusstseins oder ihrer persönlichen Stärken argumentieren. Gewalt hat in der Gesellschaft des sanftmütigen Königs Jesus Christus keinen Platz. 

Ich möchte mich einsetzen. Ich möchte teilen, möchte Position beziehen. Das braucht aber auch Ruhe. Türen meines Herzens öffnen: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit…“ Ich möchte, dass er bei mir ankommt. Dann komme ich selbst bei mir an. Ich möchte ankommen bei denen, mit denen ich zusammenlebe und -arbeite. Ich versuche still zu werden und die Stille auszuhalten. Eine Stunde am Sonntagnachmittag, eine Kerze, Stille und nichts sonst.

Ob er in diesem Jahr wiederkommt, er, auf den die Christenheit seit nunmehr zweitausend Jahren wartet? Wiederkommt in Sanftmut und darin in göttlicher Macht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Ich möchte so leben als ob. Der Advent ist die Zeit, die mir den Freiraum gibt dazu. 

Eine gesegnete Adventszeit wünsche ich Ihnen!
Ihr Ralf Meister
Quelle: Urk Fentjer / Bilder-e
Bestätigen

Bist du sicher?