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Wie lange noch?

Fri, 10 Jul 2020 09:39:12 +0000 von . Bischofskanzlei

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Sitzungssaal der Synode unter Corona-Bedingungen
Andacht zur Eröffnung der Tagessitzung der 26. Landessynode

Wie lange noch? Es ist die Frage, die wir in diesen Wochen am häufigsten stellen. Eine Frage die eine neue Bedeutung bekommen hat. Wie lange noch? Wie lange noch, bis der Impfstoff kommt? Wie lange noch bis zur Herdenimmunität? Wie lange noch ohne Handschlag, ohne Umarmung? Wie lange noch verzichten auf fröhliche Feiern im großen Freundeskreis, auf das Abendmahl mit einem Gemeinschaftskelch? Wie lange noch bis zu einer „normalen“ Synode?

Diese Frage umgreift alles. Sie bestimmt die Politik, die uns mit terminierten Verordnungen stückweise aus den Einschränkungen entlässt und uns zugleich fortwähren daran erinnert, was alles noch nicht möglich ist. Wie lange noch?

Sie bestimmt die Wirtschaft, die, am Leben erhalten durch Kurzarbeitergeld, Überbrückungskredite, Hilfsfonds, hofft, dass das Virus schnell besiegt wird und der Konsum, die Produktion, der Handel wieder beginnen können. Aber wann? Aber wann? 

Wir sitzen im Warterzimmer und haben keinen Termin

Es bestimmt unser ganzes Leben. Wie lange noch zehrt es an den Nerven, geht es unter die Haut und zersetzt uns treue, liebe Gewohnheiten. Wir sehen wie Hoffnungen vergeblich waren, Wünsche unerfüllt blieben. Es bleibt ein Leben im Unbestimmten. 

So sitzen wir im Warteraum und haben keinen Termin. Wir hatten gehofft, wir kämen schneller dran. Wir hatten die Konfirmationen in den September verlegt, die Geburtstagsfeier in den Sommer verschoben, die Reise in den Herbst? Vergeblich. Tag der Kirchenvorstände, Gospelkirchentag, Landesjugendcamp, alles um ein Jahr verschoben, werden sie stattfinden? 

So blättern wir im Wartezimmer unermüdlich die Zeitschriften und online-Einträge mit den Zahlentabellen durch. Suchen Hoffnung in statistischen Reihen von Infizierten und Genesenen. Werden zu Hobbyvirologen und Immunitätsexperten. Wie lange noch? Wir lesen in den Psalmen und Propheten: 

HERR, wie lange willst du mein so gar vergessen? (Ps. 13, 2)

HERR, wie lange willst du so gar zürnen und deinen Eifer wie Feuer brennen lassen? Ps. 79,5 

Wie lange soll dein Knecht warten (Ps. 119,84)

Wie lange soll doch das Land so trocken stehen und das Gras auf dem Felde allenthalben verdorren (Jeremia 12,4) 

Herr, wie lange soll ich schreiben, und du willst nicht hören? (Hab. 1,2)

Herr Zebaoth, wie lange noch willst du dich nicht erbarmen...? (Sach. 1,12)

Wir lesen im Johannesevangelium:

Wie lange hältst du uns im Ungewissen? Bist du der Christus, so sage es frei heraus (Joh. 10,24)
Wie lange? Das ist gewiss keine kirchliche Frage, aber wir kennen sie. Diese Frage ist ein Teil unseres religiösen Codes. Was heißt das? Sind wir Christinnen und Christen also gewöhnt an das resignative Warten? Das vergebliche Ausharren? 

Nein. Aber wir wissen: Wir leben in einem Zwischenraum. Seit Gott seine Geschichte mit uns Menschen begonnen, seitdem er auf dieser Erde zu tun hat, seitdem der Regenbogen das erste Mal über dem Firmament stand, leben wir in der Sehnsucht nach einer vollkommenen Welt der Harmonie und der Eintracht. So wie Gott sie verheißen hat. Und die gibt es nicht. Nicht in der Natur, zu der auch das Virus gehört, nicht in der Gesellschaft, nicht einmal in der Kirche. Und wir rufen in unserem Exil und in der Pandemie immer wieder: Gott, wann kommst Du, wie lange noch? Und aus dieser Erfahrung lernen wir an den Vorvätern und -müttern: Unsere Zeit ist jetzt. 

Freilich, es ist eine besondere Zeit. Wir erleiden Verluste, wir müssen uns neu orientieren. War das für das Volk Israel an den Wassern von Babylon anders? Was uns widerfährt, ist aus der Vergangenheit kaum zu deuten, ja, sogar die Zukunft bleibt ungewiss. Wir akzeptieren: die Zukunft entzieht sich unseren Plänen. Aber jede Zeit ist Gotteszeit. Wir leben im Wartesaal. Im Wartesaal der Erlösung. 

Gottes Zeit ist jetzt

Gottes Zeit ist jetzt. Auch, nein gerade in der Zeit, in der die Verletzlichkeit meines eigenen Lebens sich so deutlich zeigt. Wo eine Weltgesellschaft erfährt: Unser Leben ist vorläufig, ständig bedroht, begrenzt. Nur dort, wo Autokraten und kranke Staatsmänner (wohlgemerkt: Männer) unser Menschsein als ein gefährdetes Dasein ignorierten, sterben besonders viele Menschen.



In dieser ungewissen Gemengelage stellt sich die Frage nach dem Sinn des Lebens wieder neu.  „Corona ist mir egal“, sagt die 86jährige Dame, die sich im Pflegeheim wie eingesperrt fühlt.  Die Endlichkeit ihres Lebens hat sie klar im Blick. Die Einsamkeit quält sie. „Ich kann meine ausgefallene Reise doch nicht mehr auf die lange Bank schieben, was soll ich mit dem Gutschein“, sagt eine 82jährige. Niemand weiß, wie lang seine Lebensbank ist. 



Unsere Zeit ist jetzt und jede Zeit ist Gotteszeit. Dieses Wartezimmer beherbergt die ganze Weltgesellschaft. Wird es bleibende Einsichten geben aus dieser Zeit, für den Umgang mit unserer Verletzlichkeit, und die Sorge um das Wohl aller Menschen? Übrigens auch Einsichten über die Verletzlichkeit unserer Erde? Ich hoffe es sehr. So leben wir in unserer Bedrängnis im Warteraum der Erlösung. Ungeduldig, sehnsuchtsvoll. Aber es ist der Raum, in den wir gehören. Es ist der Raum Gottes, in dem wir leben. Paulus schreibt:



„Mehr noch, wir rühmen uns ebenso unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ Röm. 5,3-5 

In Hoffnung leben

In dieser Hoffnung leben wir und denken und handeln in unserer Kirche. Auch unsere Kirche wird eine andere sein. Denn je länger diese Corona-Zäsur währet, umso deutlicher zeigt sie uns, welche Gewohnheiten und Gebräuche, welche Regeln und Ordnungen sinnvoll, und welche überflüssig sind. Hüten wir uns vor der Perfektionierung der Binnenorganisation unserer Kirche. Unser Auftrag ist nicht intern, sondern extern. Es ist nicht zuerst der Erhalt vertrauter Organisationen. Unser Maßstab bleibt die Freiheit, zu der uns Christus berufen hat. Dieser Freiheit dienen wir. Mit unseren Ideen und Plänen, unserem Wort, unserer Hilfe, unserem Dienst. Weltoffen, missionarisch, ökumenisch. Zu der Verwandlung, die wir in dieser Zeit erleben gehört eben auch die Verwandlung unserer Kirche. Hören wir aus dem Schreiben von Dietrich Bonhoeffer zur Taufe an sein Patenkind 1944; ganz andere, beschwerlichste Zeiten.

„Bis Du gross bist, wird sich die Gestalt der Kirche sehr verändert haben. Die Umschmelzung ist noch nicht zu Ende, und jeder Versuch, ihr vorzeitig zu neuer organisatorischer Machtentfaltung zu verhelfen, wird nur eine Verzögerung ihrer Umkehr und Läuterung sein. Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen – aber der Tag wird kommen –, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt.“

In dieser Hoffnung leben wir und machen sie konkret, indem wir mit allem was wir haben, für eine solche Welt uns einsetzen.

So bleibt das letzte Wort der Bibel, aus dem Buch der Offenbarung, unsere tiefe Sehnsucht, die zugleich unser größter Trost ist:

„Ja, ich komme bald."

Amen
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