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Ostern, Alleinsein und Gemeinschaft auf neuen Wegen

Mon, 06 Apr 2020 09:42:37 +0000 von . Bischofskanzlei

© Jens Schulze
Noch nie in der deutschen Nachkriegszeit waren an Ostern die Gottesdienste verboten und viele Kirchen geschlossen. Und selten war zum Fest der Auferstehung die Stimmung so gedrückt. Daniel Behrendt und Michael Grau vom Evangelischen Pressedienst (epd) sprachen mit dem evangelischen Landesbischof Ralf Meister aus Hannover über Ostern in Corona-Zeiten. 

epd: Herr Landesbischof, Ostern naht, auch in Zeiten der Corona-Pandemie. Doch wie sollen Christinnen und Christen feiern - ohne Gottesdienst, ohne Gemeinde, ohne Gemeinschaft?
 Meister: Wir haben eine Sehnsucht nach leiblicher Gemeinschaft. Das sagt viel über unsere Gesellschaft aus. ...

Die Kirche war stets das offene Ohr in unserer Gesellschaft. Auf diese Rolle müssen wir uns stärker besinnen.

Wir halten die Erfahrung des Risses, des Getrenntseins nur ganz schwer aus. Auch Kirche lebt aus dem Miteinander, schließlich ist sie Pfingsten in der Gemeinschaft entstanden. Dass dieses Gemeinschaftserlebnis aber nicht zwingend von körperlicher Anwesenheit abhängig ist, erleben wir dieser Tage: mit neuen kirchlichen Angeboten im Internet und in den sozialen Medien, aber auch durch zahlreiche Briefe, Postkarten und Telefonate, die über die räumliche Distanz Nähe stiften. Auch ich schreibe dieser Tage sehr viele Briefe und bekomme die Rückmeldung, dass auch das als Gemeinschaft empfunden wird. Gerade entstehen neue Wege der Begegnung - und alte werden wiederentdeckt. Das ist spannend und gut.

epd: Lehren uns Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, das Alleinsein besser aushalten zu können?
Meister: Womöglich können wir die Kostbarkeit unserer Gemeinschaft gerade jetzt klarer bedenken und das Wenige, dass zurzeit an persönlicher Nähe möglich ist, als ein besonderes Geschenk achten. Dennoch hüte ich mich davor, schon die Lehrstücke dieser Krise zu formulieren. Auch weil viele Menschen sehr unter der jetzigen Situation leiden, etwa die Infizierten in Quarantäne oder die isolierten Menschen in den Altenheimen. Und alle, die um ihre Jobs bangen. Sie - aber auch alle anderen - brauchen die Hoffnungsbotschaft, dass Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen absehbar enden. Auch wenn es noch zu früh ist, über ein konkretes Datum zu sprechen. Momentan erlebe ich eine breite Akzeptanz für soziale Beschränkungen. Die könnte ohne die Verheißung auf freiere Zeiten aber bröckeln.

epd: Die Einschnitte ins Sozialleben, aber auch in die Wirtschaft sind beträchtlich. All das, um die Älteren zu schützen. Ist das verhältnismäßig?
Meister: Bei derart tief einschneidenden Maßnahmen ist immer nach Verhältnismäßigkeit zu fragen. Umso mehr, je länger die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Drucksituation andauert. Wir erleben gerade einen total offenen Zustand. Der Verlauf der Pandemie und ihre Folgen sind kaum absehbar. Angesichts dieser eigentlich übermenschlich schwierigen Situation verdient das Handeln der politisch Verantwortlichen keine Vorwürfe, sondern größten Respekt. Es ist besonnen und wohlabgewogen.

epd: Die meisten Menschen sind derzeit gezwungen, viel Vertrautes vorübergehend loszulassen. Ist das eine Fastenzeit der besonderen Art?
Meister: Sicher nicht. Dass Menschen jetzt lang ersehnte Urlaube stornieren, dass alte Menschen keinen Besuch empfangen, dass Enkel nicht zu ihren Großeltern dürfen: Das alles basiert doch nicht auf Freiwilligkeit. Die Fastenzeiten beruhen auf einer inneren religiösen Verpflichtung, nicht auf äußerem Zwang. Eine Zeit, die für viele Menschen von unfreiwilligen Entbehrungen und Traurigkeit geprägt ist, hat mit dem Fasten nichts zu tun.

epd: Welcher Auftrag erwächst aus der gegenwärtigen Krisensituation für die Kirchen?
Meister: Viele Menschen stellen sich gerade jetzt die Frage nach dem Sinn ihres Lebens, ihrer Beziehungen, ihres Lebensstils. Für diese ganz konkreten, lebensnahen Fragen war die Kirche stets das berufene menschliche und institutionelle offene Ohr in unserer Gesellschaft. Auf diese Rolle müssen wir uns stärker besinnen. Entsprechend werden wir strikter schauen müssen: Wo ist unser Ort und was ist unser Auftrag in dieser Gesellschaft?

epd: Wie feiern Sie selbst in diesem Jahr Ostern?
Meister: Wir werden zu viert sein: meine Frau, mein Sohn, meine Tochter und ich. Üblicherweise kommen viel mehr Menschen zusammen. Neben meinen Eltern auch die Geschwister, die Neffen und Nichten, deren Lebenspartner und Kinder, alles in allem an die 40 Personen. Ich werde das sehr vermissen. Als Ausgleich packen wir derzeit viele kleine Päckchen, die wir als Ostergrüße in der Familie verschicken. Auch das schafft eine Verbindung.

epd: Und ein Treffen per Skype oder Videokonferenz?
Meister: Das habe ich neulich zum ersten Mal mit meinen Geschwistern gemacht - und erfahren, dass auch auf diesem Weg Nähe entstehen kann. Bei unserem großen Oster-Familienkreis dürfte ein solches Format aber definitiv an seine Grenzen stoßen.

Das Interview wurde per Videokonferenz geführt.
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