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"Wir brauchen Entschlossenheit und intakte Netzwerke"

Mon, 30 Dec 2019 10:15:44 +0000 von . Bischofskanzlei

© Heiko Preller
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister fordert angesichts wachsender rechtsextremer Entwicklungen eine starke zivilgesellschaftliche Allianz. Besonders Drohungen und Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker müssten gestoppt werden, sagte der Theologe der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland dem Evangelischen Pressedienst (epd). Den Slogan "Wir sind mehr" gegen rechte Gewalt hält er dagegen für hoch brisant.

Lesen Sie hier das ganze Interview.
epd: Haupt- und ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker werden immer öfter Opfer von Drohungen und Gewalt. Wie lässt sich da gegensteuern?

Meister: In dieser Zeit der Diskriminierung, Häme und Verächtlichmachung steht die evangelische Kirche voll hinter dem Engagement von Politikerinnen und Politikern. Besonders das Engagement von Kommunalpolitikern ist hoch zu schätzen. Sie sind ehrenamtlich oder gegen eine geringe Aufwandsentschädigung tätig. Sie setzen ihre Zeit und Energie dafür ein, dass das Gemeinwesen funktioniert und die Menschen, die zusammen im Dorf oder im Stadtteil leben, fair und gerecht miteinander umgehen. Ob haupt- oder ehrenamtlich: Wenn es zu Diffamierungen oder gar Angriffen kommt, muss der Gesetzgeber handeln. Er muss überprüfen, ob die bestehenden Gesetze schneller und gründlicher verfolgt werden müssen oder ob wir neue Gesetze brauchen.

epd: Wie verändert sich das politische Klima?

Meister: Die Veränderung des politischen Klimas mit wachsenden rechtsextremen Entwicklungen ist eine Herausforderung, die im zu Ende gehenden Jahr noch einmal brisanter geworden ist. Öffentliche Äußerungen und Tendenzen, die einer faschistischen Ideologie nahestehen, nehmen in Debatten immer mehr Raum ein. Dadurch hat sich die gesellschaftliche Situation verschärft und verschärft sich weiter. Darin sehe ich auch eine Bedrohung unserer liberalen Demokratie. Es wäre zu einfach, nur zu fordern, dass wir für unsere Demokratie kämpfen müssen - das sagen letztlich alle. Wir brauchen eine starke und sichtbare Allianz von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich mit voller Überzeugung für unsere demokratische Grundordnung einsetzen.

epd: Wie sollte diese Allianz aussehen?

Meister: Es ist ermutigend, dass im Moment so viele Menschen auf die Straße gehen. Doch wir brauchen noch mehr Entschlossenheit, keine Abstriche an unseren Freiheitsrechten zuzulassen. Dafür benötigen wir intakte Netzwerke, die es zum Teil auch schon gibt. Durch WhatsApp und Facebook sowie Twitter und Instagram ist eine Mobilisierung in sehr kurzer Zeit möglich. Auf Dauer reicht es aber nicht zu sagen, wir brauchen zur Verteidigung unserer demokratischen Grundrechte morgen wieder 1.000 Leute auf der Straße. Auch in der Zeit zwischen den Aktionen müssen wir alle an einem Strang ziehen.
Es geht um die grundsätzliche Haltung jeder Bürgerin und jedes Bürgers - auch im Alltag. Und wir müssen ganz genau hinschauen und hinhören: Was sind die Ursachen für den Rechtsruck in der Gesellschaft? Das ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, um dieser gefährlichen Entwicklung entgegenzuwirken.

epd: Der Slogan "Wir sind mehr" gegen rechte Gewalt ist in kurzer Zeit sehr populär geworden. Wie stehen Sie dazu?

Meister: Ich halte diese Äußerung politisch für hoch brisant. Eine demokratische Gesellschaft lebt gerade davon, dass sie nicht die Macht der Mehrheit zum Gesetz macht, sondern die Rechte der Minderheiten schützt. So richtig dieser Satz auch sein mag, so falsch wird er, wenn daraus eine politische Agitation wird. Die Stärke unserer Demokratie besteht nicht darin, dass wir mehr sind, sondern, dass wir für Rechte einstehen.
Ich habe die brüchige Demokratie am Ende der Weimarer Republik vor Augen, als die NSDAP stärkste Partei geworden ist. Heute ist die AfD in Thüringen die Partei mit den zweitmeisten Stimmen. Sie könnte von sich behaupten, sie sind mehr. Ich würde jederzeit dagegen halten: Ihr seid vielleicht die Partei mit vielen Wählerstimmen. Aber mit dem, was ihr vertretet, liegt ihr falsch.

Interview: Ulrike Millhahn
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